BGM: Zwischen Angebot und Nutzung
Unternehmen stellen heute eine Vielzahl von mental-health-Angeboten bereit: EAPs, digitale Therapien, Workshops, Coachings. Doch Studien zeigen ein klares Muster: viele Beschäftigte wissen nichts über vorhandene Leistungen oder halten sie nicht für passend bzw. zugänglich. In der Praxis bleibt daher viel Investiertes ungenutzt — mit verpassten Chancen für Prävention, Produktivität und Mitarbeiterbindung
Was Forschung und Praxis als Hauptgründe nennen
Die Gründe, warum Programme „ins Leere laufen“, lassen sich in drei Gruppen bündeln:
Erstens: Sichtbarkeit und Erinnerung. Angebote werden zwar kommuniziert — oft aber einmalig und unpräzise. Beschäftigte müssen mehrfach, kanalübergreifend und zielgruppenspezifisch erinnert werden; sonst gehen Infos im Arbeitsalltag verloren. Das zeigt sich regelmäßig in großen Befragungen.
Zweitens: Fehlende Passung zur Zielgruppe. Standardprogramme passen häufig an Büroarbeitsplätze – nicht aber an Schichtarbeit, Außendienst, Produktionshallen oder hybride Teams. Wenn Teilnehmende denken „das ist nichts für mich“, nutzen sie das Angebot nicht.
Drittens: Stigmatisierung und Zugangsbarrieren. Scham, Sorge um Karrierefolgen oder die Befürchtung, „als schwach zu gelten“, verhindern die Nutzung. Selbst anonyme oder niedrigschwellige Angebote werden selten genutzt, wenn die Unternehmenskultur Hilfe-Suche nicht aktiv unterstützt. Meta-Analysen zeigen, dass Stigma nach wie vor einer der stärksten Barrieren ist.
In Deutschland kommen zusätzlich strukturelle Grenzen des Gesundheitswesens und der Arbeitsorganisation als Bremse hinzu — Befragungen und Panelstudien weisen auf deutliche arbeitsbedingte Belastungsfaktoren hin, die Angebote allein nicht lösen.
Wie Unternehmen die Lücke schließen können
Die gute Nachricht: Viele Hürden lassen sich mit vergleichsweise pragmatischen Maßnahmen abbauen. Entscheidend ist ein integrierter Ansatz aus Kommunikation, Zugänglichkeit und Kultur:
- Sichtbarkeit systematisch herstellen.
Platzieren Sie Angebote dort, wo die Beschäftigten sind: Intranet-Landingpages, Schichtplänen, Briefings, Team-Chats und Aushängen in Pausenräumen. Wiederholen Sie die Botschaften regelmäßig in verschiedenen Formaten (Kurzvideos, FAQs, Anwendungsbeispiele). Eine wiederkehrende Kampagne verhindert, dass Informationen »versanden«. - Programme zielgruppengerecht gestalten.
Prüfen Sie, ob Ihre Angebote für Schichtarbeiter:innen, mobile Teams oder Auszubildende sinnvoll sind. Mobile Zugänge, kurze Module und offline-alternativen (z. B. telefonische Beratung zu flexiblen Zeiten) erhöhen die Passung erheblich. Pilotieren Sie Anpassungen in kleinen Einheiten und skalieren Sie erfolgreiche Formate. - Barrieren aktiv abbauen.
Ermöglichen Sie anonyme Zugänge, klare Datenschutz-Informationen und einfache Buchungswege. Kommunizieren Sie, dass Nutzung keine negativen Folgen hat — und verwenden Sie Erfolgsstories (anonymisiert), um Vertrauen zu schaffen. Studien zeigen: Wenn Mitarbeitende wissen, dass Angebote wirklich anonym, schnell und praktikabel sind, steigt die Nutzung deutlich. - Führungskräfte als Brückenbauer.
Führungskräfte müssen sichtbare Fürsprecher sein: sie machen Angebote bekannt, schaffen Raum für Gespräche und normalisieren Hilfe-Suche. Kurztrainings für Führungskräfte (z. B. wie man Hinweise erkennt und wie man sensibel anspricht) zahlen sich schnell aus. - Messen, lernen, anpassen.
Nutzen Sie einfache KPIs: Awareness-Rate (Wissen über Angebote), Nutzungsrate, Zufriedenheit der Nutzer:innen, Wartezeiten und Drop-outraten. Anonyme Pulse-Surveys geben frühzeitig Hinweise, an welchen Stellen nachgesteuert werden muss. Kontinuierliche Evaluation verhindert, dass Programme stagnierten oder nicht mehr passen.
Quick Wins für die kommenden 90 Tage
Wenn Sie sofort etwas bewegen wollen, beginnen Sie mit drei Maßnahmen:
1) eine klar sichtbare One-Page mit allen Angeboten und Kontaktwegen;
2) ein kurzes Briefing für Führungskräfte + zwei Beispiel-Skripte für 1:1-Gespräche;
3) ein anonymes Pulse-Survey zur Awareness und zu Zugangsbarrieren.
Diese Maßnahmen zeigen schnelle Verbesserungen in Sichtbarkeit und Vertrauen — und liefern datenbasierte Ansatzpunkte für die nächsten Schritte.
Warum sich der Aufwand lohnt
Wenn Angebote tatsächlich genutzt werden, sinken Ausfalltage, Rückkehrquoten verbessern sich und verdeckter Präsentismus nimmt ab. Zahlreiche Reports dokumentieren: gute Zugänglichkeit und passgenaue Formate erhöhen Effektivität und ROI von BGF/Mental-Health-Investitionen deutlich — weil Prävention kostspielige Nachsorge vermeidet und Produktivität stärkt.
Angebote zählen — aber nur wenn sie ankommen
Der Abstand zwischen Angebot und Nutzung ist kein Schicksal. Er ist ein Gestaltungsfeld. Wer Mental-Health-Leistungen sichtbar, passend und vertrauenswürdig macht — und Führung sowie Messung einbindet — verwandelt Stückwerk in wirksame Prävention. Dann wird aus einem »Benefit auf dem Papier« ein spürbarer Beitrag zu Gesundheit, Leistung und Bindung.
Quellen
Lyra Health — 2025 State of Workforce Mental Health Report. Link | Spring Health — 2025 Mental Health at Work Report: Closing the Benefits Gap. Link | Harvard Business Review — Why workplace well-being programs don’t achieve better outcomes (Oktober 2024). Link | Dobson K.S. et al. — Reducing Mental Health Stigma in the Workplace: A Meta-Analysis (2025). Link | BAuA — Study on Mental Health at Work (S-MGA). Link