
Arbeitsmarkt mit Bremse – wenn psychische Gesundheit den Unterschied macht
Der aktuelle OECD-Report »Mental Health and Work« macht deutlich: Psychische Erkrankungen sind nicht nur ein individuelles Schicksal, sie wirken auf die gesamte Wirtschaft — durch verringerte Erwerbsbeteiligung, höhere Arbeitslosigkeit und deutlich mehr Fehlzeiten. Wer psychisch erkrankt, verliert nicht nur kurzfristig Leistung; viele finden gar nicht (mehr) dauerhaft in den Arbeitsmarkt zurück.
Die Folgen sind nicht abstrakt: In vielen Ländern ist die Arbeitslosigkeit bei Menschen mit psychischen Problemen deutlich höher als im Bevölkerungsdurchschnitt. Psychische Erkrankungen reduzieren die verfügbare Arbeitskraft, verzögern Ausbildungs- und Berufseinstiege und führen bei jungen Menschen besonders häufig zu Langzeitfolgen — ein Problem, das die Wettbewerbsfähigkeit ganzer Volkswirtschaften bedroht.
Gleichzeitig belegen Analysen großer Beratungsunternehmen und Spezialreports, dass die volkswirtschaftlichen Kosten sehr hoch sind — von direkten medizinischen Aufwänden bis zu Produktivitätsverlusten und Langzeitfolgekosten. Diese Studien zeigen aber auch: Investitionen in frühzeitige Prävention amortisieren sich vielfach und vermeiden deutlich größere Folgekosten.
Was die OECD-Ergebnisse für Unternehmen bedeuten
Die Kernaussage für Personalverantwortliche und Entscheider lautet: Wer psychische Gesundheit systematisch angeht, sichert Fachkräfte, reduziert Risiko und schützt Innovationskraft. Drei Erkenntnisse sind besonders wichtig:
- Frühe Intervention verhindert Dauer-Inaktivität. Die OECD betont, dass frühe Unterstützung verhindert, dass Mitarbeitende ganz aus dem Erwerbsleben gedrängt werden. Das betrifft besonders junge Menschen, die beim Übergang von Ausbildung in Arbeit anfällig sind.
- Präsentismus ist teuer — und still. Mitarbeitende, die zwar anwesend sind, aber psychisch belastet nur eingeschränkt funktionieren, verursachen verdeckte Kosten in Millionenhöhe. Maßnahmen, die Belastung reduzieren, liefern deshalb oft kurzfristig messbare Produktivitätsgewinne.
- Systemische Maßnahmen über Einzelaktionen stellen Wirkung her. Kurzfristige Angebote sind gut — nachhaltige Wirkung entsteht durch Einbettung in Prozesse (z. B. Risikobeurteilung, Führungskräfteentwicklung, Rückkehr-Begleitung).
Konkrete Hebel: Was Unternehmen jetzt tun sollten
Der Wandel gelingt nicht durch einzelne Goodies, sondern durch eine klare, pragmatische Strategie. Drei Handlungsfelder stehen vorn:
Arbeitsfähigkeits-sicherer Start und Übergangsbetreuung
Besonders bei jungen Beschäftigten und in Wiedereingliederungsphasen entstehen Lücken. Unterstützen Sie Übergänge aktiv: strukturierte Einarbeitungen, Mentoring-Programme für Auszubildende und gestufte Rückkehrpläne nach Krankheitsphasen reduzieren das Risiko, dass Talente früh verloren gehen.
Frühwarnsysteme und datengetriebene Prävention
Regelmäßige Pulse-Surveys, anonymisierte Belastungschecks und eine aussagekräftige Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen (GBpsych) zeigen, wo es brennt — bevor es zu Ausfällen kommt. Solche Instrumente machen Prävention planbar und steuerbar.
Führung und Kultur als Schutzfaktor
Führungskräfte sind der zentrale Hebel: wer zuhört, rechtzeitig Ressourcen anpasst und klare Erwartungen kommuniziert, verhindert Eskalationen. Training, Supervision und klare Escalation-Routen für Belastungsfälle gehören deshalb ebenso ins Paket wie Angebote für Mitarbeitende (z. B. EAP, Peer-Support).
Zusätzlich wirken technische und organisationale Maßnahmen: realistische Zielvereinbarungen, klare Priorisierung, flexible Arbeitsmodelle und gute Einarbeitungspläne
Business Case kurz erklärt
Es lohnt sich: Studien und Marktanalysen zeigen, dass gut konzipierte Präventions- und Unterstützungsangebote den Ausfall durch psychische Erkrankungen messbar senken und sich wirtschaftlich rechnen. Investitionen amortisieren sich über verringerte Fehlzeiten, weniger Produktivitätsverluste durch Präsentismus und geringere Rekrutierungskosten — kurz: psychische Gesundheit ist ein Hebel für Stabilität und Wachstum.
Praxisbeispiel: Fokus auf Übergänge
Ein mittelständisches Unternehmen implementiert eine strukturierte Einarbeitung plus 1:1-Mentoring für die ersten sechs Monate und ergänzt das um halbjährliche Pulse-Surveys. Ergebnis nach einem Jahr: geringere Frühfluktuation bei Neueinstellungen, schnellere Produktivitätsaufnahme und niedrigere Fehlzeiten im ersten Beschäftigungsjahr — klassische Effekte, die sich direkt auf Recruiting-Aufwand und Projektplanung auswirken.
Infrastruktur statt Einzelaktionen
Der Arbeitsmarkt der Zukunft braucht keine Heroen, die durchhalten — er braucht Menschen, die gesund bleiben dürfen. Psychische Gesundheit ist deshalb keine nette Ergänzung, sondern Infrastruktur: ein steuerbares Element von HR-Strategie, Führung und Organisationsentwicklung. Wer das erkennt und konsequent handelt, reduziert Risiken, sichert Talente und macht sein Unternehmen resilienter gegenüber externen Schocks.
Quellen
OECD — Mental Health and Work (Themenseite / Publikationsübersicht) (link) | OECD — Promoting good mental health in children and young adults (Volltext, PDF, Apr 2025) (link) | OECD — Health and work (Policy-Seite, Überblick zu Arbeitsfähigkeit & Gesundheit) (link) | Deloitte — The economic burden of mental health inequities (Analyse / Überblick, 2024) (link) | Mind Share Partners — 2025 Mental Health at Work Report (Auswertung & Trends) (link) | Centre for Mental Health — The Economic and Social Costs of Mental Ill-health (UK-Analyse, 2024) (link)